wein.gut (09/20)

wein.gut

Ein Kurzurlaub in Franken.

Was macht man in Franken im Herbst? Klar, Wein trinken und Wandern - nicht unbedingt in dieser Reihenfolge... Vida und ich haben es "so rum" gemacht - und überlebt.

Eigentlich wären wir im Mai zusammen nach Italien geflogen - aber das ging wegen Corona natürlich nicht. Ich bin dieses Jahr auch nicht Berlin gewesen - wofür auch? Jonglier-Events finden nicht statt, Reisen ist generell schwierig und auch unvernünftig und so bin ich weitgehend in Ulm geblieben (und Vida in Berlin).
Also musste, nachdem wir uns knapp 1 Jahr nicht gesehen hatten, ein Plan B her. Wir hatten immer schonmal über längere Wanderevents gesprochen: 25 oder 35km an einem Tag oder 50-100km an mehreren - bisher kam es aber nicht dazu. Na gut, dann organisieren wir halt selbst...

Der ursprüngliche Plan war es, eine 42km Strecke an 2 Tagen zu wandern und die Nacht im Wald zu zelten. Das geht in Deutschland nicht überall legal, aber es gibt "Trekkingcamps" zum Beispiel im Steigerwald in Franken. Wir hatten schon extra Ausrüstung besorgt und unsere 10kg schweren Rucksäcke probegetragen - aber dann hat uns das Wetter doch noch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Bei 5°C in der Nacht und Dauerregen geht man einfach mal nicht diese Tour!

Nun ja, wir hätten es nicht gemeinsam durch die Hölle geschafft wenn wir nicht immer auch noch einen guten Plan C hätten. Ich habe einen ganz tollen und netten Kunden, dem ein Weingut in Franken direkt an der Mainschleife gehört. Er hat einen Caravan-Campingplatz und bietet Weinproben und -führungen an. Ich habe schon oft mit dem Gedanken geliebäugelt, dort mal vorbeizuschauen...

...also los! Vida in Würzburg einsammeln, Powerbowl in der Avocadobar futtern, schnell noch zu meiner allerersten Thai-Massage (Rücken tat weh) und dann ab auf die Feste Marienberg ins Fränkische Museum. Ein bisschen Kultur muss sein!

Camping "light"

Anschließend weiter zum Weingut. Weil es Vida's erster Campingurlaub ist und sie extra einen warmen Schlafsack gekauft hat wollen wir im Zelt schlafen. Weil es aber echt ekelig nass und kalt ist, machen wir Camping "light": Wir bauen unser Zelt in Michi's Scheune auf. Dort ist es trocken und es weht kein Wind. Kalt ist es natürlich schon, aber ich habe noch 2 billige Fleecedecken vom KIK im Auto - und wir haben warmes Wasser im Bad.

wein.erlebnis

Wir haben beide relativ gut geschlafen - sind uns aber einig, dass es mit nassen Sachen und ohne Extra-Fleecedecke schwierig geworden wäre. Zum Frühstück gehen wir in die örtliche Bäckerei mit Tante-Emma-Laden. Sowas gab es in meiner Kindheit auch bei uns im Ort noch: Bäckerei Post. Dort wurden das gesamte Dorfleben bewertet, die Schulnoten der Kinder verglichen (für vorgezeigte gute Zeugnisse gab's Brötchen!!!) und meinem Bruder beigebracht, dass roter Nagellack nix für echte Jungs ist. Heute erledigt man diese Dinge natürlich im Internet.... Ob Mark Zuckerberg mal in so einem Laden war?

Der Laden ist eng, die Inhaberin telefoniert in einer Tour und es regnet gerade nicht. Also setzen wir uns mit unserem Frühstück an den Dorfplatz.

Nach dem Frühstück ab zum Weinberg. Die Erntemaschine ist gerade da: Der "Grapeliner" fährt über eine Reihe Weinstöcke und schüttelt dabei mit Fiberglasstäben die Beeren von der Traube. Das "Gestängele" an dem die einzelnen Beeren hängen bleibt also (weitgehend) am Stock. Der Grapeliner wird mit 5,25€ pro Minute (!!!) abgerechnet - er macht aber auch in wenigen Minuten die Tagesarbeit mehrerer menschlicher Leser. Weil es so schnell geht, ist es mit dem Grapeliner möglich, die Trauben genau dann zu ernten wenn sie gerade richtig sind.

Nach der Lese werden die Trauben in einen Hänger umgekippt und schon dabei mit einer Schnecke aufgebrochen. Sulfit wird zugegeben um Mikroorganismen zu hemmen. Der Hänger wird zum Weingut gebracht. Hier trennen sich die Wege von Rot- und Weißwein.

Für den Weißwein werden die aufgebrochenen & gequetschten Trauben in großen Edelstahltanks für ca. 2 Tage absitzen gelassen. Dann wird der reine Saft im Gärtank im Keller mit Hefen versetzt und vergoren. Die abgesetzten Schalen und Kerne kommen weg.

Für den (guten) Rotwein werden die aufgebrochenen & gequetschten Trauben vor der Gärung im Tank 14 Tage lang in einem flachen, offenen Behälter vorvergoren und dabei täglich von Hand gemischt. Bei dieser Maischegärung gehen Farb- und Aromastofffe der Schalen in den Traubenmost über. Erst danach wird auch der Rotwein von den Schalen getrennt und mit Hefen versetzt vergoren. Auch nach der alkoholischen Gärung erhält der Rotwein eine Sonderbehandlung: Da auch Gerbsäuren aus den Schalen mit in den Wein gelangt sind, wird ein biologischer Säureabbau durchgeführt. Dazu werden Laktobazillen zugesetzt, die saure Äpfelsäure in die mildere Milchsäure umwandeln.

Bei der Gärung wandeln die Hefen den Zucker des Traubenmostes in Alkohol um. Je nach Hefe entstehen verschiedene Aromen und verschieden hohe Alkoholgehalte. Welche Hefe gut zu welcher Rebsorte passt, weiß nur der erfahrene (und experimentierfreudige) Winzer.

Wann sind Trauben "genau richtig" erntereif?

Ein wichtiges Qualitätskriterium des späteren Weines ist der Zuckergehalt im Traubensaft. Je mehr Zucker, desto stärker, aber auch besser wird der Wein. Der Zuckergehalt der Trauben steigt mit der Dauer der Sonneneinstrahlung. Andererseits möchte man auch nicht bei Regen ernten. Das Regemwasser würde sonst den Traubensaft verdünnen...

Den Zuckergehalt einzelner Trauben kann man schnell und leicht direkt auf dem Weinberg mit einem Refraktometer in "Grad Oechsle" bestimmen. Sobald der Zuckergehalt gut genug ist möchte man die Trauben möglich fix ernten.

Die Gärung muss zum richtigen Zeitpunkt gestoppt werden - denn die Hefen machen weiter, bis sie einem Alkoholgehalt von ca. 18% absterben. Also müssen sie zu richtigen Zeitpunkt herausfiltriert werden. In Deutschland darf gutem Wein zu keinem Zeitpunkt Zucker zugesetzt werden. Deshalb greifen findige Winzer zu einem Trick: Sie filtern und sterilisieren frischen Traubensaft. Damit können sie am Ende der Gärung die Süße und Fruchtigkeit des Weins nochmal feinjustieren. Dann ist der Wein grundsätzlich "reif" für die Flasche. Manche Rotweine werden für einige Monate oder Jahre in Eichenfässern nachgereift, wo sie Aromen aus dem Holz aufnehmen.

Wie viel Wein kann man von einem Weinberg ernten?

In Deutschland gibt es dafür natürlich Obergrenzen: Pro Hektar dürfen 9.000L Wein produziert werden. Weingüter, die qualitativ besonders hochwertige Weine herstellen, produzieren meist deutlich weniger. Das Weingut Scheller zum Beispiel produziert "nur" 6.000L Wein pro Hektar auf etwas mehr als 5 Hektar Anbaufläche.

Ausschlaggebend dafür sind verschiedene Methoden der Ertragsreduktion zugunsten der Ertragsqualität.

  • Bei der "Grünlese" werden ganze Trauben ausgeschnitten und verworfen, sodass verbleibende Trauben mehr Licht und Luft haben.
  • Bei der "Traubenteilung" wird von Hand das untere Drittel jeder Traube abgeschnitten. Da der obere Teil der Traube über den Stiel besser mit Nährstoffen und Mineralstoffen versorgt wird führt das zu einem aromatischeren Wein.
  • Für einen Wein der Qualitätsstufe "Auslese" müssen die Trauben mit Hand geerntet werden. Dabei werden unreife oder kranke Beeren aussortiert.

Impressionen vom Weingut und der Landschaft

wein.probe

Ok, es war erst meine zweite Weinprobe (und Vida's erste) aber ich kann jetzt auch keine mehr machen. Es war großartig! Schon das Ambiente im Raum war mit selbst gebauten Tischen und warmer, indirekter Beleuchtung sehr gemütlich, aber modern. Gerhard Scheller erzählte Anekdoten und trug selbstgeschriebene Gedichte vor. Er wusste aber auch einfach alles über den Wein und Weinbau, den er selbst in der Familie etabliert hatte. Zusammen mit seinem Sohn Michael, der Weinbau studiert hat, wurden immer wieder Neuerungen ausprobiert, Experimente gemacht und der Wein so verbessert, dass er jedes Jahr noch mehr Prämierungen bekommt. Natürlich wurden die besseren und teureren Weine präsentiert - aber wir durften jeden Wein zum Probieren "bestellen". Gerhard: "Ich habe alle Weine offen"  und schwupps, stand eine frische Flasche auf dem Tisch.

Insgesamt ein wirklich gelungenes Erlebnis bei dem alles stimmte: Herzlichkeit, Fachwissen, "Produkt" und Preis. Wenn ihr handgemachten, guten Wein zu überraschend günstigen Preisen bestellen möchtet - hier ist er endlich, der Link auf den ihr schon den ganzen Artikel lang wartet: Bocksbeutelweingut Scheller
Nur das Wetter, das hätte echt besser sein dürfen...

Schreiben Sie einen Kommentar